ROLAND KYBURZ, 62, WERKZEUGMACHER AUS DEM AARGAU, erfand
das Gerät, das die gemeinste aller Schweizer Süssspeisen splitterfrei
portioniert: den Cremeschnittenschneider.
Es war der 15. November 2002, ich sass in Valbella in
den Ferien, da begann es zu hirnen da drin, ich zeichnete mein allererstes
Modell, bin gelernter Werkzeugmacher, verheiratet seit 33 Jahren. Zuerst
dachte ich an ein scharfes Messer, das an einem Gestänge hängt
und dasman durch die Cremeschnitte zieht wie eine Guillotine, nur waagrecht.
War mir zu kompliziert, zeichnete eine Art Zirkel, bestehend aus Messer
und Gabel, die an ihren Enden in ein Gelenk münden. Zur Portionierung
einer normalen Schweizer Cremeschnitte setzt man das Besteck - an der
Erfindermesse in Genf nannten die Welschen es Couvert pour gâteaux
à la creme, ich nenne es Cremeschnittenschneider - über die
zu essende Cremeschnitte, die gabelartige Hälfte diesseits der Speise,
die messerartige jenseits, hält das Gerät locker wie einen Bleistift,
nicht verkrampfen!, drückt dann mit dem Zeigefinger gegen das Messer,
ückt es durch Creme und Teig. Zack!
Gross verändert hat sich mein Leben nicht, seit ich den Cremeschnittenschneider
erfand. Klar, ich kam in ein
paar Zeitungen, in der "Tagesschau", aber nach wie vor stehe
ich jeden Morgen um viertel vor sieben auf, manchmal eine Stunde früher,
um mit dem Hund meiner Tochter zu spazieren. Kaffee, Müesli. Kurz
vor acht fahre ich ab, um acht Uhr bin ich im Geschäft, ich bin Process
Controller, mache den technischen Support, das Reporting, wir fabrizieren
die Maschinen, die es braucht, um textile Stoffmuster herzustellen. Eigentlich
hasse ich Süsses.
Eines Tages sassen wir zu sechst beisammen. Da erzählte einer: Seit
vielen Jahren beobachte er jemanden, der, kein Seich, tagtäglich
eine Cremeschnitte verhacke. ich sagte: Danke für den Tipp! Als ich
in den Ferien war, begann es zu hirnen da oben. Ich zeichnete ein Modell,
kaufte eine Cremeschnitte und vermass sie, eine normale Schweizer Cremeschnitte
ist zirka fünf Zentimeter hoch, zweieinhalb tief. Kaufte dann eine
Gabel, deren Zinggen mindestens fünf Zentimeter lang waren, schnitt
zwei Zinggen weg, kaufte ein Messer, blieb eines Abends länger in
der Bude und machte ein Gelenk, schliff, drehte, polierte.
Der erste Feldversuch geschah in Valbella, an einer örtlichen Cremeschnitte.
Und siehe: keine Sauerei, nichts! An der Internationalen Erfindermesse
in Genf - wo ich allein am ersten Tag die 25 Cremeschnitten zerschnitt,
die ich mitgebracht hatte, vom Konditor Leuenherger aus Erlinshach, Aargau
- kamen Leute an meinen Stand und sagten: Vierzig fahre lang mussten wir
die Cremeschnitte, um sie zu essen, verhacken und vertätschen, wann
ist Ihr Cremeschnittenschneider im Handel?
Im Herbst wird es so weit sein.
Über Mittag fahre ich meistens husch zu meinem Sohn, der hier ein
Restaurant betreibt. Wo auch die Plexiglasvitrine steht, Aluminiumrahmen,
die ich baute, darin derCremeschnittenschneiderprototyp, designgeschützt
vom Bundesamt für geistiges Eigentum seit dem a. Mai 2003. Über
vierzig Franken soll er einst nicht kosten. Jemand sagte mir, er geniere
sich regelrecht, öffentlich eine Cremeschnitte zu essen, er könne
die Gabel ansetzen, wie und wo er wolle, die Cremeschnitte zerspringe
unter Druck in alle Richtungen. Ich glaube, mein Cremeschnittenschneider
befriedigt ein Bedürfnis weiter Kreise.
Der Nachmittag ist nicht gross anders als der Vormittag. Manchmal arbeite
ich bis um acht Uhr abends, je nachdem. Meistens aber fahre ich um halb
sechs nach Hause. Meine Frau ist Lehrerin. Wir kochen, das heisst, ich
helfe. Wir essen rechtzeitig, damit wir fertig sind, wenn die "Tagesschau"
kommt. Nach der "Tagesschau" sehe ich mir einen Krimi an. Oder
ich klempere etwas am Haus herum. Oder ich lese im Lexikon, springe vom
einten zum andern. Da kann es schon passieren, dass ich erst um Mitternacht
ins Bett komme.
Eigentlich habe ich nicht nur den Cremeschnittenschneider erfunden, sondern
auch die Kultur gesprengt, ein Ta bu. Denn der Cremeschnittenschneider
ist geeignet, eine Cremeschnitte, ohne Sauerei, nicht nur in mundgerechte
Teile zu verkleinern. Sondern er taugt auch dazu, diese Teile zum Mund
zu führen - wo man die Kinder doch ständig lehrt, das Messer
nicht zum Mund zu führen! Ist mir egal. Ich träume nie.
Erwin Koch
Bild Veronique Hoegger (v.hoegger~&gmx.net)