Stolperstein
von Katrin
Ochsner
Wenn man schon mehr als ein halbes Jahrhundert
auf dieser Erde herumgewandert ist, hat man vieles erlebt und
erlitten, viel geweint und gelacht. Einige Ambitionen sind begraben,
einige Probleme gelöst, über andere stolpert man immer wieder,
zum Beispiel: Wie isst man eine Cremeschnitte?
Sie ist die
Königin der Gebäckstücke mit ihrer sorgfältig austarierten
Mischung aus Knusprigkeit, weicher Creme und süssem
Zuckerguss, und damit eine der Versuchungen im Alltagsleben,
derer man kaum widerstehen kann. Da bin ich also wieder
mal schwach geworden, und das Wasser läuft mir im Munde
zusammen, wie so ein frisches, süsses Wunder vor mich
hingestellt wird. Feierlich nehme ich die Gabel, um den ersten
Bissen abzustechen. Klack – er fliegt in weitem Bogen auf die
Sitzbank, wo ich ihn schnell aufhebe und in den Mund schiebe.
Schon habe ich klebrige Finger. Den zweiten Abschnitt gehe ich
etwas sorgfältiger an, indem ich die Gabel quer lege und
niederdrücke. Aber der Zuckerguss lässt sich nur schwer
zerteilen und die Kochcreme wird seitlich herausgedrückt.
Jetzt kann ich entweder nur Creme oder dann Blätterteig mit
Zuckerguss essen, und langsam zerbröselt und zersplittert mir
die Schnitte unter den Fingern. Der Teller sieht nachgerade
aus wie ein Schlachtfeld, und der Gabelgriff ist auch klebrig
geworden. Mann! Diese einzigartige, edle Patisserie – und
diese Sauerei beim Essen! Ein riesen Ärgernis! Jedes Mal
schwöre ich mir, endlich davon zu lassen, und falle dann doch
wieder darauf herein, denn den Cornets fehlt der Zuckerguss
und den Mohrenköpfen der knusprige Teig. Nein, nichts kommt an
Cremeschnitten heran – unvergleichlich mühsam ist aber auch
deren Verzehr im Café. So dachte ich, dass ich wohl für
den Rest meines Lebens mit dieser unüberwindbaren Hürde
konfrontiert bleiben würde.
Aber siehe da, manchmal öffnen sich Tore, wenn mans nicht erwartet!
Da hat doch wahrhaftig ein Schweizer einen Cremeschnittenschneider
erfunden, der es erlaubt, das kostbare Stück in saubere Portionen
zu zerteilen: eine Art Spagettizange, die aus Messer und
Gabel besteht. Mit der Gabel blockiert man die Schnitte und
zieht nun das Messer quer durch. So entstehen kleine Schnittchen,
die man problemlos mit der Gabel zum Mund führen kann.
Halleluja! Tausende von Cremeschnittenfans werden jubilieren.
Und
einmal mehr wäre damit bewiesen: Durchhalten im Leben – und
die Probleme lösen sich von
selbst!
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